Sie kennen doch noch das Märchen von Hans Christian Andersen aus Ihrer Kinderzeit? Ein Kaiser lässt sich für viel Geld von Betrügern neue Kleider weben. Diese reden ihm ein, die neuen Gewänder könnten nur von klugen Leuten gesehen werden, die ihres Amtes würdig seien. Gewebt haben sie dann nichts, sondern nur das Geld kassiert. Der ganze Schwindel fliegt erst auf, als bei einem Festumzug ein Kind feststellt, der Kaiser habe gar keine Kleider an. Das Märchen warnt vor Leichtgläubigkeit und unkritischer Akzeptanz angeblicher Autoritäten und Experten.
Das Märchen von der demokratischen Bundestagswahl in Deutschland geht ähnlich: Dem leichtgläubigen Volk wird von cleveren Parteibossen eingeredet, es würde durch Wahlen die Politik in diesem Lande bestimmen können. So stünde es doch schließlich auch im Grundgesetz: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtssprechung ausgeübt.“
Papier ist bekanntlich geduldig, wie sieht die Wirklichkeit aus? Wen haben Sie zum Beispiel mit Ihrer Erststimme bei der letzten Bundestagswahl gewählt? Na Herrn Müller von der CDU, einen Kandidaten aus meinem Wahlkreis, werden Sie vielleicht sagen. O.K. Und mit Ihrer Zweitstimme? Die CDU natürlich. Haben Sie sich schon mal informiert, wie aus Ihren Stimmen Mandate für den Deutschen Bundestag werden? Ich sehe, wie Sie Ihre Stirn runzeln. Mit Paragrafen haben Sie nichts am Hut. Ich will es Ihnen sagen: Lediglich 299 Volksvertreter wurden tatsächlich von den Wählern unmittelbar (d.h. direkt) gewählt. Die restlichen 332 „Volksvertreter“ (das sind 52,6 Prozent!) dagegen haben ihr Mandat von den Parteien erhalten, durch so genannte geschlossene Parteienlisten. Deshalb setze ich diese „Volksvertreter“ auch in Anführungszeichen, weil sie in Wirklichkeit lediglich „Parteienvertreter“ sind.
Mit Ihrer Zweitstimme haben Sie also nur entschieden, wie viele Mandate jede einzelne Partei bekommt, nicht aber, welche Kandidaten damit in den Deutschen Bundestag einziehen. Das war es dann aber auch schon, was Sie als Wähler zu entscheiden hatten. Über alles andere, wie die Bildung von Koalitionen, den Koalitionsvertrag sowie die zu verteilenden Posten und Pöstchen in Regierung und Parlament entscheiden in Deutschland ohnehin nur die Parteibosse hinter verschlossenen Türen. Moment, werden Sie sagen, da gab es doch noch diesen Mitgliederentscheid bei der SPD. War das nicht ein Zeichen von echter Demokratie? Nichts gegen einen Mitgliederentscheid als Ausdruck innerparteilicher Demokratie, aber ein Ersatz für scheindemokratische Bundestagswahlen kann dies ja wohl nicht sein.
Am Ende ist nicht viel übrig geblieben von den schönen Wahlversprechungen. Oder hatten Sie den Eindruck, dass es bei den Koalitionsverhandlungen oder gar bei der Besetzung wichtiger Regierungsämter noch um Ihren Wählerwillen ging? Die Berufungen von Ursula von der Leyen (CDU) zur Verteidigungsministerin und von Heiko Maas (SPD) zum Justizminister, beide gleichermaßen fachlich unerfahren, spricht Bände. Jeder Hausmeister, der sich für den öffentlichen Dienst bewirbt, muss zuallererst einmal seine fachliche Qualifikation nachweisen. Nicht so dagegen die Spitzen dieses Staates, da reicht das Parteibuch. Auch von direkter Demokratie im Koalitionsvertrag keine Spur. Deutschland ist nach wie vor das einzige Land in Europa, das noch keinen bundesweiten Volksentscheid erlebt hat.
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Quintessenz: Alle Gewalt geht bei uns in Wirklichkeit nicht vom Volke, sondern von den Parteibossen aus. Und die lassen sich den ganzen Schwindel auch noch teuer bezahlen, genauso wie die Betrüger im Märchen von Hans Christian Andersen. Da spielt es auch keine Rolle, dass alle Parteien in Deutschland zusammen gerade mal knapp 2 Prozent aller wahlberechtigten Bürger repräsentieren und von Jahr zu Jahr weiter an Mitgliedern verlieren. Im Grundgesetz steht zur Rolle der Parteien an einer einzigen Stelle lapidar: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“ Überlegen Sie mal, was die Parteien aus diesem unscheinbaren Sätzchen mittlerweile gemacht haben. Wie ein Krebsgeschwür haben sie sich überall ausgebreitet. Sie benehmen sich so, als wären sie Deutschlands neue Aristokratie, geboren um zu herrschen. Sie entscheiden sogar in eigener Sache und üben ihre Macht nahezu unkontrolliert aus. Dumm für sie nur, wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern, so wie gerade die FDP.
Dazu kommt, dass sie dieses Land auch noch grottenschlecht regieren. Das glauben Sie nicht? Dann schauen Sie sich mal diese Zahl an: Per 31.12.2012 hatten die öffentlichen Haushalte in Deutschland insgesamt 2.072.000.000.000 € Schulden, pro Kopf waren dies 2011 Staatsschulden in Höhe von 24.771 EUR. Von Minute zu Minute wächst dieser Schuldenberg weiter. Da können Sie sich selber ausrechnen, wohin der Zug Deutschland in Wirklichkeit rollt: in Richtung Staatsbankrott bzw. voll zu Lasten zukünftiger Generationen. Nach mir die Sintflut, lautet offenbar die Devise vieler „Berufspolitiker“ der Parteien. Gegenwärtig sind die Auswirkungen solch verantwortungsloser Politik schon in einigen Ländern der EU zu besichtigen.
Was ist zu tun? Vor allem muss Schluss sein mit diesem scheindemokratischen Bundestagswahlmärchen. Volksvertreter, die diesen Namen verdienen, können nur vom Volke und niemals von den Parteien gewählt werden. Deshalb muss das Bundeswahlgesetz geändert werden. Bei den Parteien darf lediglich das Vorschlagsrecht für Kandidaten verbleiben. Andere Länder, wie zum Beispiel Frankreich und Großbritannien machen uns das seit langem vor. Aber auch in Hamburg und Bremen wird die Bürgerschaft mittlerweile demokratisch gewählt, erzwungen von engagierten Bürgerinitiativen. Wahre Demokratie ist nur dort möglich, wo alle Gewalt tatsächlich vom Volke ausgeht, wo vor allem demokratisch gewählt werden kann. Hören Sie sich das Märchen von der demokratischen Bundestagswahl nicht länger an. Engagieren Sie sich für mehr Demokratie in Deutschland.
© Hans-Dieter Weber
Weitere Information:
www.mehr-demokratie.de
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